Trauma, Bindung, Sucht und Elternschaft

Teufelskreis Trauma-Sucht-Bindung

Substanzkonsumierende Frauen, insbesondere Konsumentinnen von Opiaten oder polytoxikoman konsumierende Frauen, sind überdurchschnittlich häufig durch Traumatisierungen belastet.*2 Viele von ihnen weisen frühkindliche und wiederholte Erfahrungen mit sexualisierter und körperlicher Gewalt sowie emotionalem Missbrauch auf. Finden diese traumatisierenden Ereignisse im familiären Umfeld statt, also durch diejenigen Menschen, die für Kinder für Schutz und Sicherheit stehen, besteht das Risiko für die Betroffenen, Bindungstraumatisierungen zu entwickeln.

Traumatische Ereignisse, insbesondere interpersonale Gewalterfahrungen, wirken in hohem Maße auf die psychische Entwicklung. U.a. verhindern sie oftmals eine gesunde Bindungsentwicklung, die eine zentrale Grundlage für die Entwicklung einer psychisch stabilen Persönlichkeit darstellt. So zeigen sich bei Menschen mit traumatischen Erfahrungen sehr häufig Bindungstraumatisierungen und Bindungsstörungen mit vielfältigen Auswirkungen (Traumafolgestörungen).

Traumata und Traumafolgestörungen stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der eigenen Geschlechtsidentität und dem geschlechtsbezogenen Selbstbild. Mädchen und Jungen, Frauen und Männer reagieren unterschiedlich auf traumatische Erfahrungen und weisen unterschiedliche Bewältigungsstrategien auf. Insofern ist eine gendersensible Auseinandersetzung für die konzeptionelle und methodische Ausrichtung von Hilfen und Interventionen erforderlich.

Die suchtbelastete Familie als desorganisiertes Bindungssystem

Eltern(-teile) mit unverarbeiteten (Bindungs-)Traumata geben ihre eigene traumatische Erfahrungen an Kinder weiter. Indem sie keine Alternative zu ihrem desorganisierten Bindungsverhalten gelernt haben, sind sie nicht in der Lage, ihren Kindern gegenüber das Fürsorgeverhalten zu zeigen, welches für die Entwicklung einer sicheren kindlichen Bindung erforderlich wäre. In derart belasteten Familiensystemen kommt zu einer intergenerationalen Reinszenierung des desorganisierten Bindungssystems. Das Muster dieser Reinszenierung lässt sich schematisch wie folgt beschreiben:

  • Wird die traumatisiertes Elternteil mit Bindungsbedürfnissen/-gefühlen des Kindes konfrontiert, so wird an Stelle eines angemessenen, feinfühligen Fürsorgeverhaltenssystems das eigene, desorganisierte Bindungssystem aktiviert. In Extremfällen wird das Kind selber von den betroffenen Eltern als Stressor oder gar als Aggressor wahrgenommen.
  • Die elterlichen Reaktionen in solchen Situationen sind unvorhersehbar, unangemessen, häufig hilflos oder aggressiv.

Das Kind reagiert seinerseits verängstigt, das kindliche Bindungsverhaltenssystem wird aktiviert, ohne dass es auf elterliches Fürsorgeverhalten trifft. Die Bedürftigkeit des Kindes trifft auf die Bedürftigkeit seiner Bindungsperson. Die kindliche Entwicklung einer stabilen Bindung und eines gesunden Stressregulationssystems wird gestört

Zusammenhang Bindung und kognitive Entwicklung

Eine sichere kindliche Bindungsentwicklung ist jedoch nicht nur Voraussetzung für ein ausgeprägtes Feinfühligkeitsvermögen im Erwachsenenalter. Die feinfühlige sprachliche Interaktion mit einer als zuverlässig erlebten Bindungsperson ist darüber hinaus eine elementare Voraussetzung für die kindliche kognitive und spätere sprachliche Entwicklung sowie die eigene Weltaneignung durch Explorations- und Neugierverhalten. Trennung und Vernachlässigung dagegen hinterlassen so genannte „Stressnarben“ im frühkindlich sich entwickelnden Gehirn: Die Ausbildung eines neuronalen Regulierungssystems der Stresshormone ist nur unter stabilen Bindungserfahrungen möglich, welche wiederum Voraussetzung für effiziente neuronale Vernetzungen sind. Fehlende Bindungserfahrungen können die Entwicklung des Stressregulationssystems aber auch einer differenzierten und komplexen neuroyalen Vernetzung verzögern oder gar nachhaltig stören.

Anforderungen an die Arbeit mit betroffenen Müttern*1 und Kindern

  • Einen Rahmen für emotional korrigierende Alternativ-Erfahrungen schaffen, in welchem die Frauen*1/Kinder Wertschätzung erfahren.
  • Beziehungserfahrung mit stabilen Kontakten ermöglichen, um den Bedürfnissen nach Anerkennung und Gemeinschaft gerecht zu werden.

Die Landesfachstelle Frauen und Familie, BELLA DONNA, fördert die fachliche Auseinandersetzung und den Austausch zum Themenkomplex Trauma, Sucht, Bindung und Elternschaft im Rahmen interdisziplinärer und überregionaler Nerzwerke, Tagungen, Projekte und Fortbildungen und informiert über das Informationsnetzwerk w-kis:

Mitglied im Fachbeirat des vom LWL in Münster durchgeführten Projekts „LWL Suchtprävention für und mit Menschen mit Fluchthintergrund in NRW“

Online-Seminar

Basiswissen: Psychische Traumatisierung und traumapädagogische Handlungsansätze